Urartäer: Erbauer uneinnehmbarer Festungen

Urartäer: Erbauer uneinnehmbarer Festungen
Urartäer: Erbauer uneinnehmbarer Festungen
 
Das Königreich Urartu ist eines der zahlreichen Beispiele für die Arroganz, mit der die Geschichtsschreibung meist Kulturen behandelte, die keine oder wenige schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Denn die Tatsache, dass auch aus dem Bereich des urartäischen Reiches relativ wenig Schriftliches vorliegt, schien lange Zeit die Vermutung zu bekräftigen, dies sei ein nördlicher Nachbar Assyriens gewesen, der zwar das mächtige Assyrien bisweilen habe bedrängen können, letztlich aber doch nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Erst neuere Forschungen, die das Ausmaß der eigenständigen Entwicklungen Urartus und deren Auswirkungen auf die späteren Vorgänge im westiranischen Raum aufzeigten, führten zu der Erkenntnis, dass Urartu der einzige ernsthafte Gegner Assyriens gewesen war, der die assyrische Expansion zu gefährden vermocht hatte.
 
»Urartu« bezeichnete offenbar zuerst das Land um den Vansee und südlich des Berges Ararat (dessen Name von »Urartu« abgeleitet ist) im Osten der heutigen Türkei. Der Einflussbereich Urartus breitete sich dann aber strahlenförmig nach Westen, Norden und Osten aus, umfasste das Gebiet nördlich von Täbris und den Südrand des Urmiasees, reichte zeitweise bis nach Malatya und schloss nördlich des Ararat-Massivs die Araxes-Ebene ein. Im 8. Jahrhundert v. Chr. erstreckte sich Urartu damit über ein Gebiet, in dem fruchtbare Ebenen mit wilden Gebirgslandschaften wechselten, ein politischer Zusammenschluss wegen der landschaftlichen Zersplitterung also einiger Anstrengungen bedurfte.
 
Wenn in Inschriften assyrischer Könige des 13. Jahrhunderts erstmals die Gebietsnamen »Uruatri« und »Nairi« genannt werden, werden für das Gebiet Urartus noch acht bzw. 40 Könige erwähnt, gegen die die Assyrer einen Sieg erfochten. Auch die Einladung des assyrischen Königs Assurnasirpal II. zur Einweihung seines Palastes ergeht noch nicht an einen Vertreter eines einheitlichen urartäischen Reiches, sondern an vier verschiedene Könige. Erst die Berichte seines Nachfolgers, Salmanassars III., sprechen von einer »Königsstadt« und anderen Festungen unter einem urartäischen König Aramu. Genauere Nachrichten - dann auch durch eine eigene Inschrift - erhalten wir erst für die Regierung eines Königs namens Sarduri, der sich in assyrischer Sprache nicht nur mit den assyrischen Königstiteln schmückte, sondern sich auch »König der Gesamtheit«, »König der Könige« und »König von Nairi« nannte.
 
Einiges spricht dafür, dass die scheinbar recht rasche Staatsgründung Urartus um 860 v. Chr. eine Antwort auf die wiederholten Einfälle der Assyrer war, denen man durch eine geeinte Macht Einhalt zu gebieten hoffte. Obwohl die Urartäer sicher Entscheidendes - und nicht nur ihre Königstitulatur - von Assyrien übernahmen, zeigt sich jedoch bereits unter Sarduris Nachfolger Ischpuini, wie sehr sie - über einen Nutzverband hinausgehend - eine eigenständige Politik betrieben: in diese Zeit fiel zum einen die Verwendung der eigenen Sprache in den Inschriften, zum anderen die Ausdehnung nach Osten bzw. Südosten, also in Gebiete, die im direkten Interessengebiet Assyriens lagen.
 
Unter den Nachfolgern Ischpuinis konnte vor allem mit der Gründung der Städte Erebuni und Argischtihinili in der Araxes-Ebene durch Argischti I. die Macht im Norden gefestigt werden. Nach Vorstößen nach Westen bis an den Euphrat geriet Urartu unter Sarduri II. insbesondere mit der weiteren Ausdehnung in Richtung Karkemisch mit dem assyrischen Herrscher Tiglatpileser III. in Konflikt, dessen Stoßrichtung in das gleiche Gebiet zielte. Doch auch nach dem Sieg Tiglatpilesers III. über die Urartäer und ihre Bundesgenossen im Jahre 743 v. Chr. blieb Urartu einer der Hauptgegner Assyriens. Auch Sargon II. hatte offenbar die Eindämmung urartäischen Einflusses an seiner nordöstlichen Flanke im Blick, als er nach mehreren früheren Versuchen schließlich 714 das durch die Kimmerereinfälle bereits geschwächte Urartu unter Rusa I. besiegte. Im 7. Jahrhundert v. Chr. war Rusa II. durch die Sicherung der Nordost- und Ostgrenze - etwa durch die Anlage der Stadt Karmir-Blur in der Araxes-Ebene und der Burg Bastam nördlich des Urmiasees - so sehr in Anspruch genommen, dass keine Konflikte mehr mit Assyrien entstanden und sogar freundliche Beziehungen eintraten: als Assurbanipal 652 v. Chr. seinen ersten großen Sieg über Elam feierte, wurde ein Vertreter des urartäischen Königs (wahrscheinlich Rusas III.) zur Feier eingeladen. Möglicherweise ging der urartäische Reststaat um 630 v. Chr. in Angriffen der Skythen unter.
 
Es entspricht wohl dem ursprünglichen Sinn einer Schutzgründung gegen die Assyrer, dass sämtliche Siedlungsgebiete der Urartäer - sowohl die ehemaligen als auch die neu hinzugewonnenen - durch starke Burgen befestigt wurden. Deren aus großen, exakt behauenen Felsblöcken bestehenden Mauern wurden auf gewaltigen Terrassen errichtet, die in unterschiedlicher Höhe den Geländekonturen der ausgedehnten Felsmassive folgten; für einzelne Strecken oder sogar einzelne Blöcke wurden eigene Terrassierungen angelegt. In vielen Fällen, in denen die aufgehenden Mauern nicht mehr erhalten sind, zeugen diese treppenartigen Fundamentierungen noch heute von Bauten aus urartäischer Zeit. So entstanden monumentale Steinbauten, die ihresgleichen suchen und wohl eine eigene Schöpfung der Urartäer darstellen. Beispiele für solche meist auf Felsrücken liegende Burganlagen bieten nicht nur die Burg der Hauptstadt Tuschpa am östlichen Ufer des Vansees, sondern auch zahlreiche andere Burgen wie Bastam im heutigen Iran.
 
Bei diesen Anlagen fällt die Verwendung der Säule auf, eines Bauteils, der in der mesopotamischen Architektur überhaupt keine oder - wie in Assyrien - eine nur geringe Rolle spielte. Offenbar war den babylonischen Baumeistern, die es gewohnt bzw. die gezwungen waren, massiv in Lehmbauweise zu arbeiten, das ihnen nicht materialgerecht scheinende Prinzip der tragenden Säule suspekt. In Assyrien, wo man Stein- bzw. Holzbauten eher kannte, wurde zwar zumindest für den Eingangsbereich die Form der mithilfe von zwei Säulen geöffneten Eingangshalle übernommen; doch auch hier treten nie Säulen auf, die im Inneren eines Raumes die Decke abstützen. Im urartäischen Bereich finden sich dagegen Säulen in vielfacher Verwendung; in größerer Anzahl trugen sie etwa die Decken großer Innenräume - wie im Hallenbau der Festung Bastam - oder weit geöffneter Eingangsbereiche - wie in der Eingangshalle zur Festung Erebuni am Stadtrand des heutigen Jerewan.
 
Bauhandwerkliche Kenntnisse und Fertigkeiten waren aber auch nötig für die zahlreichen Wasserbauten. Unter den vielen Kanälen, die, zum Teil in Fels eingehauen, über andere Wasserläufe oder über lange Strecken auf hohen Dämmen geführt wurden, ist der über 50 km lange Kanal zur Versorgung der Hauptstadt Tuschpa ein Musterbeispiel, den König Minua um 800 v. Chr. erbauen ließ und der heute noch benutzt wird. Die Burgen wurde zum einen durch große, in den Fels gehauene Zisternen mit Wasser versorgt, zum anderen durch Treppentunnel, die zu tiefer gelegenen Quellen führten.
 
Obwohl das urartäische Reich nur rund zwei Jahrhunderte überdauerte und fast zeitgleich mit dem assyrischen Reich unterging, entfaltete es eine erhebliche Wirkung auf die nachfolgenden Zeiten. Inwieweit dies für den politisch-organisatorischen Bereich gilt, ist mangels schriftlicher Quellen nicht nachvollziehbar. Deutlich sichtbar wird seine Ausstrahlungskraft jedoch auf dem Gebiet der Architektur - insbesondere in der Verwendung der Säule, die ja nachgerade ein Kennzeichen der medischen, dann aber vor allem der achaimenidischen Baukunst geworden ist. Undenkbar ohne die urartäischen Vorgängerbauten wären daher die medischen Säulenhallen von Godintepe und Nuschijan, aber auch die in Pasargadai ausgebildete Apadana - als Audienzhalle das Wahrzeichen aller achaimenidischen Paläste von Susa über Persepolis bis nach Babylon.
 
Prof. Dr. Hans J. Nissen

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Urartäer — Ur|artäer,   fälschlich Chạlder [k ], Bewohner des alten Urartu, des Gebiets um den Vansee in Ostanatolien, dessen Name mit falscher Vokalisation im biblischen Berg Ararat enthalten ist; schon im 13. Jahrhundert v. Chr. als Gegner der Assyrer… …   Universal-Lexikon

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